Venice 80: Dekonstruktion des Auftragskillers

Zahnloser Schläger mit russischem Akzent, tätowierter, Bandana-tragender Redneck, androgyner Stoiker, unauffälliger Tourist, traumatisierter Kriegsveteran, britischer Gentleman mit Hang zur Dramatik oder aber perfekt geschulte Profikillerin, Schulmädchen mit Hang zur Vergeltung, in neue Bahnen geleitetes Waisenkind mit dubiosem Ziehvater: Was auf den ersten Blick wie ein ungewöhnliches Ensemble der Avengers klingt, soll nur das vielfältige aber sich im Lauf der Jahre selbst reproduzierende Klischee des Auftragskillers in Hollywoodfilmen darlegen. Das Festival in Venedig behandelt das Thema 2023 gleich in 2 großen Werken, wobei einem von beiden eine unterhaltsame Dekonstruktion des Themas gelingt.

Michael Fassbender spielt in David Finchers neustem Werk The Killer einen Auftragskiller, der den üblichen bekannten Vorgehensweisen eines konzentrierten Profis folgt. Er arbeitet mit großer Geduld und einfachen Werkzeugen, er kleidet sich unauffällig, passt sein Verhalten an die Umgebung an und vermeidet persönlichen Kontakt. Sein Vorgehen hat ihn noch nie in Probleme gebracht, bis es doch geschieht. Mit diesem Ereignis startet The Killer in eine durchaus spannende und unterhaltsame Jagd, in der verschiedene Personen aus dem Weg gezogen werden müssen. Der Film funktioniert gut, mit seinen inneren Monologen und interessanten Routinen ist die Hauptfigur für den Zuschauer weniger stoisch als für ihre Gegenüber, präsentiert aber zugleich etwas fatalistisches und düsteres.

Damit der Film funktioniert ist es notwendig, dass sich das Publikum auf die Illusion einlässt: Sobald man das Abgebildete zu hinterfragen beginnt, fallen Dinge ins Auge, die im Kontext der Realität nicht mehr funktionieren: Begonnen bei der Kleidung, die zwar als neutral beschrieben wird, in unserer Realtiät allerdings absolut nicht unauffällig wäre und die stellvertretend für diese inszenierte Welt stehen kann. Diese Überhöhung der Realtität zugunsten von Stil und Plot sind es, die sich Richard Linklaters Hit Man zu eigen macht.

Im Gegensatz zu Finchers Werk geht Linklater einen Schritt zurück und blickt auf das erzeugte Klischee, um es in verspielter (und natürlich auch nicht realitätsnaher) Art und Weise zu dekonstruieren und zum Kern der Geschichte zu machen. Als Prämisse des Films steht das von Hollywood konstruierte Konzept des Auftragskillers, das so in der Realität nicht existiert, an das Kriminelle (im Film) aber dennoch glauben. Die Polizei im Film nutzt diese Leichtgläubigkeit aus, um mögliche Auftraggeber*innen festzunehmen; Glenn Powell spielt dabei den Köder und tritt in die Rolle verschiedener stereotyper Hitmen.

Aus dieser Ausgangslage entspinnt sich ein Konflikt der eigenen Identitäten, die die Hauptfigur – nebenbei Teilzeit-Philisophieprofessor – anschaulich und unterhaltsam erläutert, während sich in der sich anbahnenden Liebesgeschichte, eben jene neu gschaffenen Identitäten als nützlich erweisen. Hit Men ist während seiner Laufzeit dazu in der Lage eine Liebesgeschichte, die Frage nach der eigenen Identität, die Dekonstruktion eines Hollywoodklischees und leichte Unterhaltung zu vereinen. Einzelne Szenen stechen dabei ebenso heraus wie die Leistungen der der beiden Hauptfiguren und zeigen Linklaters Geschick für die zweite Ebene hinter vordergründig schon interessanten Geschichten.

Ghost Dog | (c) Plywood Productions

Um zurückzukehren zum Bild des Profikillers bzw. der Profikillerin: Es erscheint auf den ersten Blick, dass das angesprochene Klischee zumeist männliche Figuren abbildet, was häufig mit einer militärischen Vergangenheit oder Arbeit beim Geheimdienst erklärt wird. Neben den bekannten Männern dieser Innung finden sich aber auch einige reproduzierte weibliche Stereotype, vor allem seit den 90er Jahren: Grundsätzlich ist hier zu erkennen, dass diese Figuren häufig im Zentrum der Handlung stehen und ihnen eine emotionale Hintergrundgeschichte verliehen wird. Während männliche Charaktere häufig auftauchen, ihren Auftrag erledigen und mehr oder weniger professionell von der Bildfläche verschwinden, sind in Filmen wie Léon oder Kickass oder Columbiana meist dramatische Ereignisse ausschlaggebend für die Zuwendung der Figuren zum Beruf der Auftragsmörderin. So entsteht z.B. das Bild des verzweifelten Schulmädchens dadurch, dass Mathildas Familie ermordet und sie vom Titelgebenden Helden Léon in Obhut genommen wird. Ebenso zieht Hit-Girl in Kickass im weiteren Verlauf des Films ihre Motivation aus einem persönlichen Verlust. Weibliche Figuren werden häufig in einem Kontrast zwischen junger, unschuldiger Zerbrechlichkeit und rauem, tödlichem, präzisem Handwerk des Auftragsmordes platziert, während diese emotionale Reife bei männlichen Figuren nur selten in Frage gestellt wird.

In Venedig nimmt das Thema des Killers erstaunliche zwei Filme ein, in der Vita des einen oder anderen Regisseurs noch deutlich mehr. Hier einige nennenswerte Vertreter des Genres, ob dekonstruiert oder nicht: Meist unterhaltsam.

Le Samourai, In Bruges, The American Friend, Ghost Dog: The Way oft he Samurai, The Baker,


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