Die Rentrée bezeichnet das Ende der französischen Sommerferien und die Rückkehr unzähliger Urlauber und Urlauberinnen aus den Feriengebieten in die Großstädte.
Diese den Französinnen und Franzosen heiligen Monate der Erholsamkeit sind von einem Filmemacher besonders detailliert betrachtet worden, dessen Hingabe für diesen Jahresabschnitt unzählige Facetten des Landes und der Menschen auf Film festhält, sein Name ist: Éric Rohmer.
Le Rayon vert zeigt den zerrütteten Geisteszustand der Protagonistin Delphine, die in den Ferien zu gleich drei verschiedenen Reisezielen Aufbricht. Ihre Reaktionen auf die Normandie, die Alpen und auch Biarritz sind allerdings in keinem Fall erholsam, denn jedesmal sehnt sie sich zurück in die große Hauptstadt.

Rohmer erzählt seine Geschichten über das Leben in der Stadt, das Leben am Meer, die unerwiederte Liebe, die erwiederte Liebe, die Suche nach der Liebe, die Suche nach der eigenen Persönlichkeit, das Finden des Neuen und des Bekannten und andere alltägliche und menschliche Eigenheiten. Dabei widmet er sich ganz seinen Protagonist*innen und setzt sie durch ausschweifende, dialogzentrierte Szenen in unterschiedlichsten Landschaften in Szene. Seine Stärke ist es, dabei niemals Belangloses durch die Münder seiner Figuren fließen zu lassen. Jedes Gespräch und jede Diskussion legt den Charakter und die Meinungen der gezeigten Personen offen. Der Plot ist dabei häufig so simpel wie alltäglich und dient hauptsächlich als Vehikel, um die genannten Themen zu präsentieren. Delphine beispielsweise muss sich immer wieder für ihr Verhalten rechtfertigen und sorgt für Unverständnis bei ihren Begleitern. Die in diesen Konflikten ausgehanadelten Themen sind Einsamkeit und die Frage nach der Notwendigkeit sozialer und emotionaler Anpassung.
Die Figuren des Autorenfilmers verfolgen dabei häufig konkrete charakterliche Ziele, scheinen sich dessen jedoch erst im Verlauf des Films bewusst zu werden. So werden Aussagen getroffen, die Meinungen offenlegen, die sowohl Zuschauender als auch Sprechender erst in diesem Moment begreifen. Das Aussprechen dieser Meinung scheint sie in diesem Moment zum ersten mal real zu machen.

So wird der von Melvil Poupaud gespielte Gaspard in Conte d’eté sich immer erst seinen Gefühlen bewusst, sobald er in eine scheinbar ausweglose Situation geraten ist. In seinen Ferien in der Nordbretagne begegnet er drei Frauen, zu denen er zufällig und fast unbeabsichtigt in verschiedener Weise emotionale Bindungen aufbaut. Während alle drei ihn nach und nach in unterschiedlicher Art und Weise direkt mit der Situation konfrontieren, formuliert er zumeist erst im direkten Dialog seine Gefühlssituation.
Die übernatürliche Fähigkeit der Figuren ihre Emotionen perfekt formuliert darzulegen und auch in den unwahrscheinlichsten Momenten reflektiert und reif zu agieren, ist dabei ein Markenzeichen des Autors und Regisseurs. Jede Figur besitzt das Urteilsvermögen, für die eigene Sicht der Dinge zu argumentieren und in Überzeugnung zu handeln. Dies wirkt in Teilen unrealistisch, erscheinen doch Jugendliche deutlich zu weise und reflektiert für ihr Alter. Rohmer scheint durch dieses theaterhafte, lückenlose Spiel der Worte und Dialogisieren seiner Figuren jedoch zwei Absichten zu verfolgen. Einerseits steht er für die Macht und Bedeutung des gesprochenen Wortes ein. Er betont die Sprache als Mittel der Kommunikation und deutet darauf hin, dass Konflikte vermieden werden können, sofern sowohl Emotionen als auch Absichten kommuniziert oder nicht kommuniziert werden. Andererseits erscheint er die Zuschauenden durch das Gezeigte ermutigen zu wollen, die eigenen Emotionen und Meinungen auszusprechen.

Ideal veranschaulicht dies Le Genou de Claire, in dem die Dialoge zwischen Figuren aller Altersklassen besonders herausstechen. Die im Film geführten Gespräche bilden unterschiedliche Absichten, Motivationen und Umgangsformen ab. Einerseits wirkt die 16-jährige emotionale Laura sehr eloquent und reif für ihr alter, während Claire und ihr Freund aus Sicht des analytischen und auf den ersten Blick emotional erhabeneren Protagonisten Jérôme eine für ihr Alter von Mitte 20 eher infantile Beziehung führen. Die sich entwickelnden emotionalen Verstrickungen am Lac d’Annecy sind dabei ebenso tiefgründig wie von nur kurzer Dauer.
Die Rückkehr in das Stadtleben vereint fast alle Hauptfiguren in Rohmers Urlaubs-Filmen. Die Rolle und Bedeutung von Paris würde den Rahmen dieser kurzen und sicherlich unvollständigen Ausführung zu Èric Rohmer sprengen.
tbc…
Titelbild: (c) Canal+, Arthaus Filmverleih