Nur zu Besuch: Der Gefängnisfilm als eigenes Genre?

Es ist nicht ganz klar ob der Gefängnisfilm ein eigenes Genre darstellt, immerhin bietet der Schauplatz zumindest grundsätzlich die Möglichkeit verschiedene Geschichten zu erzählen und somit auch verschiedene Genres zu bedienen. So haben sich über die Jahre verschiedene Ausprägungen des „Knastfilms“ herauschristalisiert, einige von ihnen sehenswerter als andere.

Die zwei wohl bekanntesten Vertreter des Genres stammen aus der Feder von Stephen King und wurden beide in den 90er Jahren von Frank Darabont verfilmt. The Shawshank Redemption und The Green Mile erzählen dabei in jeweils ähnlicher Stimmung die Geschichte von unschuldigen Insassen, deren Entwicklung jedoch unterschiedlicher nicht sein könnten. Während The Shawshank Redemption einen sich über die Jahre verzweifelt nach seiner rechtmäßigen Freiheit sehnenden Mann im Alltag des Gefändnisses abbildet, geht The Green Mile einen übernatürlichen Weg und gibt Stephen King-typisch den schwachen Charakteren eine nicht-irdische Macht an die Hand. Beide Filme werden von Kritikern wie Zuschauern heute noch gelobt und stechen dabei aus Darabonts danach eher abfallender Filmografie (als Regisseur) stark heraus.

Un Prophete | (c) UGC Distribution, Sony Pictures Releasing

Deutlich interessanter als diese hinreichend bekannten Werke sind jedoch die kleinen und andersartig herangehenden Filme. So etwa Jacques Audiards Un Prophete, in der sich der junge Erwachsene El Djebena in einem Strudel von Gewalt und Macht innerhalb konkurrierender Gefängnisclans wiederfindet. Der Film verbindet hier extreme Gewaltausbrüche mit dem tragenden Rhythmus eines klassischen Gangsterfilms. Ein Genre das häufig selbst das Gefängnis als Schauort der Handlung und einen damit verbundenen Lebensstil zur Schau stellt. Einzelne Szenen in Un Prophete erinnern an Goodfellas und Der Pate, wobei dies auch eindeutig Verdienst von Hauptdarsteller Tahar Rahim ist, der seiner Figur eine oft undurchichtige Mehrdeutigkeit verleiht. Jugendliche Unerfahrenheit gepaart mit resoluten Gedankengängen und Handlungen formen den Charakter im Verlauf der Handlung auf menschlicher wie funktionaler Ebene zu einer für den Betrachter faszinierenden Persönlichkeit. Durch seine nicht eindeutige Zugehörigkeit und sein Talent für Sprachen scheint der anfängliche Ausenseiter als eine Art Prophet die verfeindeten Gruppen im Gefängnis um sich zu vereinen. Seine Rolle wandelt sich dabei im Film deutlich von der Marionette zum Macher – eine für dieses Genre nicht ungewöhnliche Entwicklung. Die Symbolik um die Andeutung von prophetischen Fähigkeiten und der Bedeutung von Leben und Tod gibt dem Ganzen eine erhabene und seltsam befürwortende Facette. Obwohl der Protagonist zu Beginn des Films unschuldig ist und sich nach und nach zum Schwerverbrecher entwickelt, verliert er nicht an Sympathien. Dies ist ein Weg, welcher im Gefängnisfilm häufig genau anderherum beschritten wird.

So auch in American History X, in dem sich Edward Nortons Charakter Derek Vinyard im Gefängnis vom Neonazi zum reflektierten Menschen wandelt. Seine Figur befindet sich zu Beginn des Films auf dem Höhepunkt ihrer Gewalt. Als sie eingesperrt die Seite des Opfers einnehmen muss, beginnt ein Entwicklungsprozess, der das eindeutige Weltbild aus schwarz und weiß langsam kontrastärmer und bunter gestaltet. Eine Entwicklung die zwar begründet scheint, in seiner Geschwindigkeit jedoch nicht immer glaubhaft ist.
Nichtsdestotrotz, das Gefängnis dient im französischen wie auch im amerikanischen Beispiel einer radikalen Charakteränderung und bringt so den Grundtenor der meisten Gefängnisfilme zum Vorschein: Dieser Ort beansprucht seine Insassen psychisch und körperlich und kann sie im Positiven wie im Negativen verändern, auch wenn diese Bewertung natürlich im Auge des Betrachters liegt.

Papillon | (c)Allied Artist Pictures, RCA Columbia Pictures International Video

Dabei im Fokus steht auch häufig das brechen des Willens der Gefangenen. Gibt es Beispiele wie The Shawshank Redemption, in der dies nicht gelingt, so finden sich auch entgegengesetzt ausgerichtete Filme: Papillon zeigt die über Jahre dauernde Gefangenschaft der Freunde Louis Dega und Papillon, deren Ausbruchswille unterschiedlich stark unter der Unterdrückung durch die Obrigkeit leidet. Der Film schafft es in seinem unvergleichlichen Ende ungeklärt zu lassen, ob Papillons Wille ungebrochen bleibt, oder ob er seiner ewigen Gefangenschaft eigenmächtig ein Ende setzen will. Das Ergebnis des berühmten Sprungs ins Meer bleibt sowohl dem Zuschauer als auch Dega verborgen. Der von Dustin Hoffman gespielte Mitinsasse ist von der Isolation und Einsamkeit auf der Strafkolonie Französisch-Guayana deutlicher angezehrt. Seine Resignation aber auch eine gewisse Zufriedenheit finden sich im Spiel Hoffmans deutlich wieder. Eine Resignation, die in Charlie Bronsons Emotionspalette vermutlich nicht vorhanden ist.

Bronson | (c) Kinowelt Home Entertainment, Vertigo Films

Der Laut Nicolas Winding Refn stark autobiographische Film Bronson (vermutlich in typischer Selbstinszenierung eher auf den Charakter bezogen) erzählt die Geschichte Großbritanniens bekantesten Sträflings. In diesem Werk von 2008 setzt der Däne zum ersten Mal deutlicher seine bekannten Merkmale der Ästhetik, Musik und Gewalt ein und erschafft so ein wahnwitziges Gemenge an Manie, Testosteron und Neon. Mit Tom Hardy in der Hauptrolle wird der vollständig auf seinen Protagonisten ausgerichtet Film vom Gefängnisfilm zur Charakterstudie. Zwar befindet sich der Häftlich zum großen Teil der Handlung in Anstalten, dennoch sind eher seine Performance, seine Monologe und die vom Regisseur erzeugte Atmosphäre im Zentrum der Wahrnehmung. Ein Ansatz der zeigt, dass der Gefängnisfilm schwierig als eigenes Genre aufzufassen ist.

Ähnlich wie der Oberbegriff des Animationsfilms ist die Füllung der durch den Begriff gesetzten Rahmenbedingungen nicht wirklich vorgegeben. Zwar finden sich klassische Beispiele, die in Handlung sowie Ästhetik deutliche Übereinstimmungen aufweisen, Beispiele wie Bronson oder American History X stechen jedoch aus diesem, vor allem durch Frank Darabont in den 90ern geprägten Muster heraus.

Welche nennenswerten Gefängnisfilme wurden hier vergessen? Welche Genres verdienen es noch genauer beobachtet zu werden?


Titelbild: (c) New Line Cinema, Kinowelt Filmverleih


4 Gedanken zu “Nur zu Besuch: Der Gefängnisfilm als eigenes Genre?

  1. Einer der besten „Gefängnisfilme“, die ich kenne ist „Cell 211“. Ein spanischer Thriller aus dem Jahr 2009. Ich galueb dazu wird gerade auch an einem US-Remake gearbeitet.

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  2. Ich würde mal noch „Shotcaller“ mit Nicolai Coster-Waldau in den Raum werfen, der mich vor allem mit seiner Härte und Authentizität überzeugen konnte. Und nicht zu vergessen der enorm spannende „Flucht von Alcatraz“ mit Clint Eastwood.

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  3. Ich muss gestehen, dass ich mich bisher nicht wirklich mit Gefängnisfilmen beschäftigt habe und Klassiker wie Papillon leider noch nicht kenne – außer vom Namen her. Aber Shawshank Redemption und Green Mile fand ich doch wunderbar.
    Von einem gewissen Trash-Faktor her, kann man wohl Escape Plan mit Stallone und Schwarzenegger als Tipp sehen 😉 Fortress – Die Festung mochte ich als Kind/Teenager … ob das heute wohl noch so ist? Viel Hoffnung habe ich nicht.

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