Anime: Kunst und Magie im Studio Ghibli

Es ist nicht einfach in einem vollgepackten Alltag Ideen für tiefgründigere Texte zu finden, so ergibt es sich häufig, dass die gesichteten Filme das innere Brainstorming dominieren. In den letzten 14 Tagen half dabei die kostenlose Streaming-Platform Shelfd, die durch das Verlinken aktueller Mediathekenbeiträge Aufmerksamkeit auf die Filme Das wandelnde Schloss und Chihiros Reise ins Zauberland warf (mehr zu shelfd am Ende des Texts). Es wird schon seit langem einmal Zeit, dem Studio einen Artikel zu widmen, das seit Jahrzehnten erfolgreich Animefilme produziert und dabei fast in jedem Werk optische Standards im Zeichentrickgenre gesetzt hat

Einem regelmäßigen, eintönigen, ja gar tristen Alltag entflieht die Protagonistin Sophie recht unfreiwillig und lernt dabei verschiedene Lektionen über Selbstwahrnehmung, Altern und Liebe. Nachdem sie von einer wunderbar eklig gezeichneten Hexe in eine alte Frau verwandelt wird, flieht sie aus ihrer Heimatstadt und trifft in den nahen Bergen auf Hauros wandelndes Schloss, in dem sie fortan wohnt und die schrecklichen Mechanismen des Krieges aus einer neuen Perspektive betrachtet. Wirken diese Beschreibungen möglicherweise etwas kindlich, weit hergeholt und in teilen auch schwachsinnig, ergeben sie im Kontext des Films gänzlich Sinn. Die Zeichnungen, ihre Detailverliebtheit und auch die deutsche Vertonung der Figuren tragen dazu bei, dass das Gezeigt zwar phantastisch und unvertraut wirkt, die Fremde japanischer Mythologie sowie die technisch mehr als beeindruckende Umsetzung wandeln diese Umstände jedoch mehr in Staunen als in Zweifel um. Hierzu tragen auch immer wieder kreativ umgesetzte Figuren bei, die auf eine seltsam schrullige Art und Weise den Zuschauer besonders erfreuen. Der sture Feuerdämon Calzifer etwa, oder ein niesender Hund sind nur zwei Beispiele für diese fantasievollen Figuren.

inlay1
Das Wandelnde Schloss | (c) Wild Bunch, Universum Film

In den Filmen des Studios Ghibli, das vor allem durch Regisseur Hayao Miyazaki bekannt scheint, tauchen von diesen Wesen eine Vielzahl auf, eines interessanter und lustiger, als das nächste. In Chihiros Reise ins Zauberland sind es das Ohngesicht sowie die beiden verzauberten Begleiter der Protagonistin, in Mein Nachbar Totoro sind es der Hauptdarsteller und die Bus-Katze; fast jeder Film des Studios mit einem mythischen Ansatz bietet dem Zuschauer diese unbeschwerten und seltsamen Figuren.

hund
Das Wandelnde Schloss | (c) Wild Bunch, Universum Film

Entgegen dieser stehen häufig ebenso detailreich inszenierte Antagonisten die sich durch nicht-menschliche oder auch übertrieben menschliche Züge auszeichnen. Die dunklen gummiartigen Gestalten in Das wandelnde Schloss stehen für den Schrecken des Krieges, eine ungreifbarere Bedrohung die die Welt des Films an sich reißt. In Chihiros Reise ins Zauberland stellt die autoritäre Hexe Yubaba, Herrscherin über die Welt des Badehauses, äußerlich sowie in ihren Verhaltensweisen (unverhältnismäßige Sorge um ihr Kind, extreme Strenge) eine übertriebene Art menschlicher Charaktereigenschaften dar. Chihiro, die in das Fantasiereich fernab der realen Welt geworfen wird, trifft auf allerlei metaphorische Gestalten, die verschiedene Aspekte des menschlichen Lebens symbolisieren: Den fleißigen und die Basis der Gesellschaft bildenden Arbeiter, der unter körperlichen Anstrengungen die Dampfmaschinen in Gang hält. Die dem Überfluss dienenden Angestellten, die für materiellen Wohlstand jeglichen Verstand abstreifen und die wenigen Privilegierten, die von dieser Gesellschaft profitieren und über sie bestimmen können. Der Überfluss und die Gier nach Materiellem und Vergnügen wird in vielen Szenen deutlich. Chihiro begegnet während ihrer unterbewussten Flucht aus der Menschenwelt einer karikierenden Form eben dieser Strukturen. Dem Regisseur gelingt es dabei diese durch den typischen Charme des Stils in jeglicher Form passend überzeichnet wirken zu lassen. Der deutsche Titel Chihiros Reise ins Zauberland ist somit in gewisser weise ironisch zu verstehen. Alice im Wunderland scheint dabei nur eine thematische Inspiration zu sein, mit der die Coming-of-Age Geschichte des jungen Mädchens erzählt wird.

inlay2
„I’d much rather be a pig, than a fascist“ | (c) Toho Company, Universum Film

Das Studio Ghibli hat in all seinen Jahren sehr unterschiedliche Filme hervorgebracht. Zwar stehen auf der einen Seite die fantasievollen und fremdartigen Werke, diesen Gegenüber werden etwa in Die Letzten Glühwürmchen oder Porco Rosso Themen wie Faschismus und die Zerstörung des Krieges aufgefasst und erstaunlich realistisch und hart erzählt.

shelfd.com bietet seinen Nutzern einen breiten Überblick über aktuelle Filme in den frei zugänglichen Mediatheken. Darüber hinaus bieten kuratierte Filmlisten Einblicke in auf Netflix etc. vertretene vieleicht jedoch übersehene Werke. Auch TBC ist auf shelfd vertreten. Schaut gerne vorbei und meldet euch an, falls euch die Idee zusagt. Aktuell zu empfehlen: Die Doku The Cleaners oder der Splatter-Western Bone Tomahawk.


Titelbild: (c) Toho Company

3 Gedanken zu “Anime: Kunst und Magie im Studio Ghibli

  1. Toller Text zu echt außergewöhnlichen Filmen. Der Fantasiereichtum der Studio Ghibli-Filme ist einfach enorm. Und Die letzten Glühwürmchen gehört für mich zu den gleichwohl traurigsten wie schönsten Filmerfahrungen!

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar