Oscars: Awards, Favoriten und Jubliäen

Da die in zwei Wochen anstehende Verleihung der Academy Awards zufällig fast auf das gleiche Datum fällt wie das zweijährige Jubiläum dieser Seite soll ein kurzer und nicht ganz objektiver Ausblick auf beide Ereignisse gewagt werden. Welches dabei den größeren Stellenwert in der Filmszene einnimmt, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Die Highlights des Filmjahres 2018 wurden fast in ihrer Gänze im ersten Quartal und so vor dem das Jahr trennenden Ereignis der Oscars veröffentlicht: Ob Lady Bird, Call Me by Your Name, Der Seidene Faden, Die Dunkelste Stunde oder der in Deutschland in der ersten Januarwoche veröffentlichte Three Billboards outside Ebbing, Missouri – die wichtigen Filme werden wie immer in die vorderen Monate gequetscht. Im Vergleich zu dieser qualitativ anspruchsvoll aufgestellten Nominiertenliste scheint das Jahr 2019 deutlich abzufallen. So finden sich neben den eindeutigen Favoriten Roma und (logisch) The Favourite nur mittelmäßig würdige Anwärter. Der kurzweilige und unterhaltsame Green Book schafft es in Teilen leider nicht über eine oft klischeehafte schwarz-weiß-Geschichte hinauszuragen, wahrt aber mit seinen beiden Hauptdarstellern Chancen auf eine Auszeichnung.

inlay_greenbook
Green Book | (c) 20th Century Fox

Dies ist ebenso im Fall von Bohemian Rhapsody denkbar: Der durch Epik und vor allem Musik emotional mitreißende Film weißt einige schauspielerische und inszenatorische Höhepunkte auf, gerade die bzw. eher der „Konzertmitschnitt“ im Finale ragt hierbei heraus. Die Gesamte Qualität des Films, der Inhalt sowie vor allem die Missbrauchsvorwürfe gegenüber Regisseur Bryan Singer dürften die Chancen auf die wichtigste Auszeichnung des Abends verwähren. (Es muss angemerkt werden, dass ich aus Gründen des deutschen Kinostarts Vice noch nicht sehen konnte und aus Gründen des Desinteresse A Star is Born und vor allem Black Panther ignoriert habe).

Obwohl die Oscars auch, und vor allem, in diesem Jahr wieder ein überdimensionierter Haufen Quatsch sind, bei dem sich mittelmäßige Gags und lange Werbepausen zu einem anstrengenden Abend fusionieren, gilt die Auszeichnung immer noch als wesentlicher Maßstab in der (amerikanischen) Filmindustrie. Die Auszeichnung ruft interessante Diskussionen hervor, lässt allerdings internationale Produktionen etwas außer Acht.

capINlay
Capernaum | (c) Alamode Film

Die Kategorie des besten fremdsprachigen Films bietet dabei in diesem Jahr einige überragende Bewegtbilder: Ich muss gestehen, dass ich neben dem zeitlich unpassend gestarteten deutschen Beitrag auch den polnischen Anwärter Cold War nicht sehen konnte. Dies lag weniger am fehlenden Interesse, eher war der deutsche Untertitel so abschreckend, dass in der Zeit November/Dezember First Man, Climax, Under the Silver Lake und Widows deutlich interessanter klangen. Grundsätzlich ist ja durchaus bekannt, dass die deutschen Verleihe es meist für notwendig befinden einen unsinnigen Titelzusatz einzubauen, in diesem Fall kann ich mir vor allem vorstellen, dass die eigentliche Zielgruppe des Films eher abgeschreckt als angezogen wird; Der Breitengrad der Liebe ist mehr als grenzwertig und ist fast eine persönliche Beleidigung für jeden mit geographischer Ausbildung. (Mich).

Wäre Roma nicht auch in dieser Kategorie nominiert, wäre die Auszeichnung sowohl Capernaum (Libanon) als auch Shoplifters (Japan) zu gönnen. Beide Filme gewähren Einblicke in Europäern (und US-Amerikanern) unbekannte Milieus, nämlich den jeweils unteren Enden der Gesellschaft in Beirut bzw. Tokio. Capernaum beeindruckt dabei vor allem durch explizit realistisch gezeigte Zustände des Großsstadtwahnsinns zwischen Hunger und Menschenhandel und hebt dies durch die Betrachtung der Geschehnisse durch die Augen eines Kindes auf eine zusätzlich elendige Ebene. Im japanischen Beitrag stehen vor allem die Themen Eltern-sein und die Frage: Was macht eine Frau zur Mutter / Was macht eine Gruppe zur Familie? im Mittelpunkt. Der Film gibt dabei keine klaren Antworten, wirft in seiner Geschichte allerdings interessante und in der Gegenwart sinnvolle Fragen auf.

inlay_roma
Vorspann von Roma | (c) Netflix

Ach ja, warum ist eigentlich Roma so alles-überragend? Cuarón zeigt schon in seinem Vorspann mithilfe einer unbeweglichen Kamera, wie viel Kreativität in ihm steckt und wie er den Preis für die beste Cinematographie gewinnen wird. Diese technische Überlegenheit zieht sich durch den gesamten Film, Szenen im Kino im Krankenhaus oder am Strand haben sich nach nur einmaligem Sehen in mein Gedächtnis geritzt und werden dort vermutlich noch lange Kerben hinterlassen. (Tatsächlich ist diese bildliche, übertrieben wirkende Sprache der emotionalen Tiefe der Szenen angemessen, auch wenn ich mir des Kitsches der Worte bewusst bin). Sein Können habe ich auch schon in diesem Artikel zu Harry Potter 3 angesprochen.
Die Geschichte des Films zeigt in perfekter Manier die uneindeutige Rolle des Hausmädchens, das in jeder Situation zur Familie gehört, von Kindern und auch Erwachsenen als Familienmitglied behandelt wird, die alltäglichen Annehmlichkeiten einer weißen Frau jedoch nicht beanspruchen kann. Zwar bekommt sie emotionale und körperliche Unterstützung in Situationen privater Not, grundlegendes wie eine Wohnung, einen eigenen Platz im Wohnzimmer der Familie oder vor allem ein selbstbestimmtes Leben sind ihr nicht vergönnt. Cuarón fasst in seinem feministischen Werk die Ideen von Gayatri Spivak auf, die „mehrfach benachteiligte oder diskriminierte Frauen [des globalen Südens die] „nicht für sich selbst sprechen können oder dürfen“ (Göttsche 2017:22) als Subaltern definiert. Die Hauptfigur von Roma ist nicht nur ethnisch diskriminiert, auch die Männer ihrer Ethnie besitzen Macht über sie. So stellt sich die Verbindung zu Shoplifters her, die in der Frage mündet:

Giving birth automatically makes you a mother?“

Genug der wissenschaftlichen Zitate.

Da das Budget der diesjährigen Academy Awards das von TBC leicht übersteigt (um etwas weniger als einen Dollar), wird die Feier etwas, jedoch fast unwesentlich kleiner ausfallen. Auch TBC hat sich in diesem Jahr keinen Host geleistet und entspricht so den gängigen Standards der Branche. Um das zweite Jahr dieser Seite zu feiern wird aber auch hier Bewegtbild gezeigt:

In der Playlist The Cinematic Scenes stellt die Academy von TBC einige der erinnerungswürdigsten Szenen der Filmgeschichte vor um arbeiten sich von Nummer 001 bis zu Nummer 100 vor. Einigen Leser/innen dürften die ersten zehn dieser Liste schon bekannt sein, Nummer 011 bietet heute einen kleinen Vorgeschmack auf die in zwei Wochen hinzukommenden Ausschnitte:

Die Szene aus Vincent Gallos Buffalo ’66 zeigt in neon-ästhetisierter Atmosphäre das Attentat des Protagonisten auf einen Herren in einer Bar. Es ist hier vor allem die Atmosphäre die aus Farben und Musik sowie Führung der Kamera eine eindrucksvolle Szene entstehen lässt.

Die gesamte Playlist findet ihr direkt hier oder in der Seitenleiste auf der Startseite von TBC. In zwei Wochen werden die Plätze 012 bis 020 ausführlich präsentiert.


Titelbild: (c) 20th Century Fox

8 Gedanken zu “Oscars: Awards, Favoriten und Jubliäen

  1. Auch wenn die Qualität der Filme schwächer ist als in den letzten Jahren, was auch an Roma liegt, der ziemlich sicher den Hauptpreis gewinnen wird, ist der Oscar immer noch bedeutend für die Filmindustrie. Auch wenn die Nominierungen für Black Panther und Bohemian Rhapsody ein Witz sind, gewinnen werden sie nichts, außer vielleicht Rami Malek. Die Auslandsfilme habe ich außer Roma leider nicht gesehen, aber der besten Filme im Rennen sind BlacKkKlansman und The Favourite

    Gefällt 1 Person

    1. Denkst du Blackkklansman hat realistische Chancen? Ich finde, dass er zu viele absichtlich überspitzt unrealistische Elemente eingebaut hat und das dadruch etwas vom Gewicht genommen wird, dass durch das Ende absichtlich aufgebaut werden soll.

      Gefällt 1 Person

      1. Ich bin hundert Prozent sicher, dass Roma den Hauptpreis gewinnt und BlacKkKlansman leider leer ausgeht. Sicher der Film ist überspitzt, aber es ist ein mutiger Film, der vieles Richtig macht. Besser als eine Hommage an das Kindermädchen, dass schon gefilmt ist, aber sonst schon bei mir vergessen ist. Ich bin aber auch nicht zufrieden mit der Nominierungsauswahl. Hätte mir bei Best Picture First Man und Widows als nominierte gesehen.

        Gefällt 1 Person

      2. Bei First Man bin ich tatsächlich verwundert, weil ich es als logische Wahl empfunden hätte, auch wenn mir die erste Hälfte des Films gar nicht zusagte. Erst ab dem Abheben von Apollo 11 wurde alles sehr beeindruckend und mitreißend. Widows fand ich allerdings auch nicht so stark, wie er hätte sein können.

        Gefällt 1 Person

      3. Ich fand beide Filme beeindruckend, eindeutig in meinen immer noch nicht veröffentlichten Top 10 des letzten Jahres. First Man fand ich hatte einen sensationellen Auftakt erzählt dann ruhiger und hat dann ein perfektes Ende und Widows fand ich intelligent und mutig, auch wenn die PR fehlgeleitet war…

        Gefällt 1 Person

  2. „Welches dabei den größeren Stellenwert in der Filmszene einnimmt, muss jeder für sich selbst entscheiden.“

    Das dürfte ja wohl vollkommen klar sein. Herzlichen Glückwunsch schon mal im Voraus.

    Gefällt 1 Person

  3. Ha! Eine Gemeinsamkeit, die mir bei Shoplifters und Roma gar nicht aufgefallen ist. 😉 Richtig guter Gedanke!
    Dass die Hauptfigur in Roma keinen wirklichen Platz im Leben der Familie bekommt und nicht so selbstbestimmt leben kann, mag sein. Aber das Ende räumt ihr diesen Platz vielleicht eben doch ein. Und ich mag den Vergleich der zwischen ihr und ihrer „Chefin“ gezogen wird. Letzten Endes sind beide von Männern abhängig, die ganz patriarchalischer Natur ihren Weg gehen und machen, was sie für richtig befinden, ungeachtet der Misere in der sie die Frau zurücklassen.

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar